Man kann diese Gipfelerlebnisse nicht erzeugen, sie kommen als Geschenk zu uns – meist, wenn wir es am wenigsten erwarten. Wobei die beste Vorbereitung eine innere Offenheit ist, um ihre Botschaft in sich zu empfangen, die uns tiefe Einsicht in die Gesetze und Regeln des Lebens schenkt, ohne dass wir es in irgendeiner Form intellektuell verstehen könnten oder müssten.
In die Praxis transpersonaler Therapie gehört auch die Betreuung außergewöhnlicher Seinserfahrungen und spiritueller Krisen – spontane spirituelle Zustände werden nicht als psychotische Schübe gesehen, sondern es wird ihre Bedeutung für einen Ganzwerdungs- und Heilungsprozess erkannt. Darauf wurde auch schon in der Existenzanalyse und der Tiefenpsychologie C.G. Jungs hingewiesen, doch eine starke Verbreitung ergab sich erst durch die Unterstützung der „New Age“-Bewegung Ende der 60er Jahre. In der transpersonalen Therapie werden die inneren Begrenzungen des Ego deutlich gemacht, die die Erfahrung der Ganzheit verhindern, was in Vielem der Idee eines stabilen Ich der klassischen Psychotherapie widerspricht.
Ein tragendes Merkmal der Transpersonalen Psychologie ist die religiöse Ungebundenheit, sie sieht sich keiner Form traditioneller Religiosität verbunden und zieht insofern eher Menschen mit einem spirituellen Hintergrund an, der sich auf Erfahrungen gründet, weitab vom religiösen Dogma.
In diesem Sinne arbeitet auch die Transpersonale Meditation ohne besonderen religiösen Hintergrund, auch wenn natürlich Elemente aus den Erfahrungsreligionen des östlichen Kulturkreises einfließen. Man kann kaum die kumulierten Erfahrungen aus buchstäblich Jahrtausenden östlicher Meditationspraxis ignorieren, auch wenn vieles davon in einer religiösen Sprache verfasst ist – Metaphern für ein eigentlich unaussprechliches Erlebnis.
Diese Schwierigkeit, spirituelle Gipfelerfahrungen in Worte zu fassen, wird immer wieder einleitend in Berichten erwähnt, in denen Heutige ohne einen religiösen Hintergrund tiefe Meditationserlebnisse oder andere tiefgreifende spirituelle Erfahrungen zu schildern versuchen.
C.G. Jung sagte über eine solche Erfahrung: „Ich fühlte mich, als ob ich im Schoß des Weltalls geborgen wäre – in einer ungeheuren Leere, aber erfüllt von höchstmöglichem Glücksgefühl.“ 2
Doch oft genug versagt die Alltagssprache und so wird auf religiöse Begrifflichkeiten zurückgegriffen. Aber natürlich ist es etwas vollkommen anderes, wenn man sich einer religiösen Begrifflichkeit bedient, um das Unsagbare dann doch sagen zu können, als wenn man ein religiöses Dogma etablieren wollte.
Die nachfolgenden zwei Beispiele sind mit Absicht nicht aus dem kulturellen Zusammenhang des Buddhismus oder aus einem anderen Kontext mit wie auch immer geartetem religiösen Hintergrund gewählt, sondern Berichte von „ganz gewöhnlichen“ Menschen, denen ein Gipfelerlebnis im Maslow’schen Sinne zugestoßen ist. Maslow hat sein Modell der Bedürfnispyramide, die er schon 1943 entwickelt hatte, im Jahre 1970 um den Aspekt der Transzendenz erweitert. Er hatte erkannt, dass die bisher höchste Stufe – Selbstverwirklichung – nicht den höchsten Punkt markiert, sondern sich darüber die Transzendenz-Erfahrung, die Erfahrung einer Dimension, die die Grenzen des Ich überschreitet, befindet. (Interessanterweise wird bei der Darstellung der Bedürfnispyramide bis zum heutigen Tage fast immer das Modell von 1943 genommen).
In beiden Beispielen wird deutlich, was sich hinter dem trockenen Begriff „Transzendenz-Erfahrung“ verbirgt. Es sind Auszüge aus Interviews, wo die authentische Erfahrung auf eine Frage hin spontan formuliert wird und nicht durch den Filter der Schriftsprache gebrochen wurde:
- Oliver Lazar, Professor für Wirtschaftsinformatik an der FOM-Hochschule: „Es begann im Grunde genommen mit einem inneren Vibrieren und einer unglaublichen Gänsehaut, die an meinem Körper auf der linken Körperseite auf und ab lief, {…} es wurde von außen an mich herangetragen … ich saß in meinem Zimmer ruhig auf dem Sofa und in dem Moment ist das passiert … mich durchströmte plötzlich eine so unendlich große Liebe, das kann man kaum in Worte fassen, es war eine Liebe, wie ich sie noch nie im Leben gefühlt habe, als würde das ganze Universum strahlen … das war nichts was ich in irgendeiner Form hätte hinterfragen müssen, weil es in einer solchen Echtheit, in einer solchen Markanz auf mich zugekommen ist, dass ich das auch nie in Frage stellen würde, es hat mich umgehauen, weil ich dachte ‚was war das denn?‘, ich konnte das überhaupt nicht einsortieren. Mir liefen die Tränen vor Freude herunter und auf der anderen Seite hatte ich diese unendlich große Trauer in mir, das war eine Achterbahnfahrt der Gefühle … wie komme ich jetzt von dieser größten Trauer plötzlich in diese unendlich große Liebe? Und dann begann im Grunde genommen eine Reise, ich habe genau gewusst, das ist ein einschneidendes Erlebnis {…} das kann man nicht einfach wegwischen.“ (Oliver Lazar im Interview mit Werner Huemer, 2021 Youtube)
- Jürgen Ziewe, Werbe-Grafiker: „ {…} und dann geschah es plötzlich, dass ich jeden Sinn für Identität verlor, der ganze Raum verwandelte sich in ein blendendes Licht … Klarheit, alles wurde klar und scharf, aber in einem solchen Ausmaß, dass ich einfach nichts finden konnte, womit ich es vergleichen könnte, es war einfach eine absolute Klarheit {…} In dem Moment, als ich in diesen Raum eintrat, wurde ich von Wellen der Ekstase überwältigt, und sie waren fast schmerzhaft, als ob ich eine Art von Schichten von falschen Ideen über mich in diesem klaren Licht abstreifte {…} Als dies geschah, es war ein heller Sommertag, aber als meine Sinne zurückkehrten, kam es mir wie tiefste Nacht vor, sehr dunkel. {…} Und als ich mich wieder gefangen hatte, fiel ich in eine Art emotionalen Strudel, ich begann unkontrollierbar zu weinen, aus dem einzigen Grund, dass mein Körper versuchte, mit dem Geschehenen fertig zu werden. Als ich aus meinem Zimmer kam, {…} wie soll ich sagen – völlige Stille, nichts bewegte sich, als wäre ich zum ersten Mal auf diesem Planeten angekommen. Alles war neu, alles fühlte sich an, als hätte ich es noch nie zuvor gesehen, als wäre ich zum ersten Mal auf dieser Erde, und es war unglaublich friedlich und schön. Es gab eine Ausstrahlung, die von allem, was ich sah, ausging, die mir ein Gefühl der allumfassenden Zugehörigkeit gab. Ich wusste nicht, was ich jemandem sagen sollte, ich konnte mit niemandem darüber reden, ich lief einfach nur ruhig mit diesem Gefühl herum und versuchte, mich im Leben zurechtzufinden, ich hörte mir die Vorlesungen an und ging wieder nach Hause, nach und nach verblasste es allmählich und ich wurde wieder normal.“ (Jürgen Ziewe im Interview mit Rick Archer, 7.06.2016, www.batgap.com)